
Chance Zukunft - Interview mit Dominik G.
Fast 10 Jahre lebte Dominik G. in einer Obdachlosenunterkunft
Der ehemalige obdachlose Dominik G. berichtet über die Herausforderungen seines Lebens und seinen schweren Weg, mit Hilfe des Projekts „Chance Zukunft“ zurück in ein eigenständiges, geregeltes Leben.
„Das Projekt hat mich unterstützt, endlich aus mir heraus zu kommen und das zu erreichen, was ich mir immer vorgenommen, aber nie vollendet habe“, so Dominik.
Ausgangssituation:
Wegen einer erfolgten Zwangsräumung im Jahr 2007 verliert Familie G. ihr Zuhause. Dominik G., damals 16 Jahre alt, muss mit seiner schwer depressiven Mutter, seiner jüngeren Schwester und seinem 12 Jahre älteren aber alkoholkranken Bruder in eine abgelegene und laute Obdachlosenunterkunft in Xanten ziehen.
Die Umgebung, in der Dominik G. den größten Teil seiner Jugend verbringt ist geprägt von Gewalt und Rücksichtslosigkeit, dazu kamen psychische Probleme der Mutter. Eine Umgebung mit fremde Menschen, die schreien oder Selbstgespräche führen, trinken und Drogen nehmen, Gewalt und Diebstahl finden in der Obdachlosenunterkunft täglich statt. Situationen wie beispielsweise das Eintreten ihrer Tür, körperliche Angriffe von anderen Obdachlosen oder die ganze Nacht laut feiern gehörten zur Tagesordnung. Seine jüngere Schwester hatte das Glück bei der Familie ihres damaligen Freundes (und heutigem Ehemann) unter zu kommen. Dominik selbst wollte seine psychisch kranke Mutter und seinen Alkohol kranken Bruder nicht in der Unterkunft allein lassen und blieb bei ihnen - er ergab sich seinem Schicksal. Fast 10 Jahre lang lebte er in der Unterkunft ohne Hoffnung auf ein geregeltes Leben. All die Jahre hält der verantwortungsvolle und loyale Familienmensch Kontakt zu seiner Schwester und deren Familie, die in der Nähe lebten.
In der Schule wurde er wegen seiner Lebenssituation gemobbt, aus diesem Grund fehlte er häufig und verließ die Schule ohne Abschluss. Seine Freizeit verbrachte Dominik G. überwiegend an seiner Spielkonsole, insbesondere nachts, wenn seine Nachbarn in der Unterkunft mal wieder „feierten“. Im Jahr 2012 schaffte er es, in einem Projekt der AWO, mit viel Mühe und sozialpädagogischer Unterstützung den Hauptschulabschluss zu erwerben. Über eine Zeitarbeitsagentur erhielt er diverse Jobs, die aber nach sehr kurzer Zeit wieder endeten.
Freunde hatte Dominik G. keine; sein bester Freund zog vor Jahren in den Schwarzwald. Zu diesem Freund nahm er 2015 telefonisch wieder Kontakt auf. Es folgten einige Besuche in den Schwarzwald, um seiner Situation zu entfliehen, dort lernte er seine große Liebe Elisa kennen:
Interview:
Wie war das als Sie ihre damaligen Freundin kennenlernten? Was hat Elisa zu Ihrer Lebenssituation gesagt?
Dominik G.: Anfangs hatte ich ihr verschwiegen, dass ich in einer Obdachlosenunterkunft lebte. Ich hatte große Angst sie zu verlieren, wenn sie erfährt, dass ich Obdachlos bin. Elisa lebte im Schwarzwald, deshalb hatten wir überwiegend nur telefonischen Kontakt. Bei meinen Besuchen habe ich immer versucht einen guten Eindruck zu hinterlassen, ich habe bespielweise sehr auf mein Äußeres geachtet. So war es mir lange Zeit möglich, meine wahre Lebenssituation zu verheimlichen. Als sie schließlich doch davon erfuhr, zeigte sie Verständnis und blieb trotzdem bei mir.
Was hat sich für Sie nach diesem Erlebnis geändert?
Dominik G.: Elisa hat mir gezeigt, dass ich wichtig bin! Von dem Zeitpunkt an war mir klar, dass ich raus aus diesem Elend wollte und dass ich anfangen musste an mich zu denken und an mir zu arbeiten, um aus der Obdachlosenunterkunft raus zu kommen. Ich hatte ein klares Ziel vor Augen: Eine eigene Wohnung, um mich dann beruflich zu orientieren. Doch dazu benötigte ich Hilfe. Diese Hilfe fand ich im CJD Niederrhein, in der Maßnahme „Chance Zukunft“; meine Betreuerin Katrin Hainke half mir meinen Weg in ein geregeltes Leben zu finden.
„Chance Zukunft“ – was ist das für eine Maßnahme im CJD?
Frau Hainke: Das Modellprojekt "Chance Zukunft", (finanziert durch ESF Mittel und den JobCentern) richtet sich an junge Menschen, die zwischen 18 und 30 Jahre alt sind, Leistungen nach dem SGB II erhalten und durch komplexe Problemlagen und vielfältige Vermittlungshemmnisse im Übergang von der Schule in den Beruf geprägt sind. Große Belastungen für diesen Teilnehmerkreis können zum Beispiel sein: Probleme im familiären Zusammenleben, gesundheitliche Einschränkungen, fehlende Berufserfahrungen oder Qualifikationen, eine schwierige Wohnsituation, Obdachlosigkeit oder traumatische Erlebnisse.
Im Rahmen des Modellprojekts erfahren die Teilnehmenden Unterstützungen in den unterschiedlichen Lebensbereichen. Im Fokus steht zunächst die Stabilisierung der persönlichen Situation und im weiteren Verlauf dann die praxisnahe berufliche Orientierung.
Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer wird umfassend und nachhaltig im Rahmen von aufsuchender Sozialarbeit begleitet und beraten. In einem Abstimmungsprozess zwischen der Teilnehmerin bzw. dem Teilnehmer, dem Berufsbildungswerk und dem Jobcenter entsteht ein individueller Förder- und Handlungsplan, der regelmäßig überprüft und bei Bedarf angepasst wird.
Ziel ist es, die Teilnehmenden zu befähigen, in Schule, Ausbildung oder Arbeit (wieder) einzusteigen oder sie für Angebote der Jobcenter, Arbeitsagenturen und andere Unterstützungsdienste (wieder) erreichbar zu machen.
Dominik mündete im März 2017 in das Modellprojekt „Chance Zukunft“ im CJD BBW Niederrhein ein. Ich lernte ihn als einen sehr freundlichen und zuverlässigen jungen Mann kennen, der aber völlig in sich gekehrt war, kaum sprach und nur schwer mit „Fremden“ in Kontakt treten konnte. Vorrangiges Ziel dieser Maßnahme war es, Dominik aus seinem Schneckenhaus heraus zu bekommen und eine Wohnung zu finden. Er entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem engagierten Teilnehmer, der an allen Angeboten teilnahm und sich aktiv einbrachte. Er war immer pünktlich und soweit es seine Situation zuließ, agierte er sehr eigenständig.
Würden Sie sagen Herr G., der Eintritt in die Maßnahme war ein regelrechter Wendepunkt in Ihrem Leben?
Dominik G.: Neben Elisa, gab und zeigte mir auch Frau Hainke immer wieder, dass ich wichtig bin. Im Rahmen der Maßnahme konnte ich einen Staplerführerschein machen und so meine berufliche Qualifikation zu verbessern. Wir unternahmen Aktivitäten, die für viele vielleicht nichts Besonderes sind, Dinge wie beispielsweise Klettern, einen Ausflug zu den Maasdünen, einen Besuch der Philharmonie, etc. Früher, als ich isoliert und mich von der Gesellschaft entkoppelt fühlte, habe ich mich in der Unterkunft „geritzt“. In der Maßnahme ging es um mich! Um meine Herzenswünsche und meine Bedürfnisse. Dieser respektvolle und emphatische Umgang der mir entgegengebracht wurde half mir sehr.
Es gab aber auch Einschnitte in dieser Zeit, die mich wieder zurückwarfen. Ein Tiefpunkt war als meine Mutter im Mai 2017 starb – das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber auch hier ließ Frau Hainke nicht locker. Sie half mir mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich bin in dieses Projekt gekommen zu sein und diese Entwicklung vollzogen zu haben.
Heute leben Sie mit Elisa in einer schönen großen Wohnung. Wie kam es dazu?
Dominik G.: Im Oktober 2017 besuchte mich Elisa in der Obdachlosenunterkunft in Xanten. Wir versuchten von dort aus gemeinsam eine Wohnung zu finden; aber niemand wollte einem Typ, der aus einer Obdachlosenunterkunft kommt noch dazu arbeitslos ist eine Wohnung vermieten. Es war nicht leicht.
Im Dezember wurde Elisa schwanger und wollte zu mir nach Xanten ziehen. Sie kündigte ihr Ausbildungsverhältnis und ihre Wohnung im Schwarzwald und zog zu mir in die Unterkunft. Unter keinen Umständen sollte mein Kind in einer solchen Umgebung leben. Die Schwangerschaft war der Auslöser unsere Bemühungen bei der Wohnungssuche zu intensivierten. Unterstützt wurde ich dabei von Elisa, meiner Schwester und Frau Hainke vom CJD. Dann war es soweit, tatsächlich fanden wir einen Vermieter, der uns ohne Vorurteile begegnete. Dann ging alles ganz schnell:
Im Mai 2018 endete das Projekt „Chance Zukunft“ für mich. Im Juli heiratete ich meine Elisa und konnten kurz danach in unsere gemeinsame Wohnung ziehen.
Eine Probearbeit bei einem potentiellen Arbeitgeber im Ga-La Bau habe ich auch in Aussicht.
Es geht uns gut! Das Projekt „Chance Zukunft“ im CJD Niederrhein hat mich unterstützt, endlich aus mir heraus zu kommen und das zu erreichen, was ich mir immer vorgenommen aber nie vollendet habe.
Zwei berühmte Zitate begleiten mich meine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und diese zu erreichen: „ Die Einzigen wirklichen Feinde eines Menschen sind seine negativen Gedanken.“
Ohne das Projekt und meine Frau Elisa wäre ich immer noch negativ gestimmt, was das Leben angeht. Aber das ist nun zu Ende, denn jetzt greift das nächste Zitat: „Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.“ (Beide Zitate von Einstein)
Die Erkenntnis dieser Zitate und die große Hilfe durch das Projekt haben mich weiter gebracht und mir gezeigt, dass nicht alles sinnlos ist. Solange man einen Weg vor sich hat, den man gehen kann, sollte man stets weiter laufen, denn der Weg ist nicht das Ziel, sondern das Leben welches sich auf diesem abspielt.
Fortsetzung folgt.
CJD BBW Niederrhein, 09.10.2018
Fotos: Joe Kramer